Wo Winnetou einst ruderte

Der Silbersee liegt zwischen den weißen Kalkfelsen wie eine Badewanne für Winnetou. Ein Kiesweg führt hinunter zu dem Wasser, das nach den Launen der Sonne seine Farbe wechselt. Von tiefem Grün zu leuchtendem Blau. Als kippe jemand heimlich tonnenweise Tinte in den See. Der Holzsteg, der um den See führt, geleitet zu der Höhle, in der Winnetou und Old Shatterhand einst den Schurken Colonel Brinkley besiegten, der den Schatz im Silbersee rauben wollte. Aus der Nähe betrachtet ist der Kaluderovac, wie der Silbersee wirklich heißt, so klar, dass man die Fische sieht, die über ein versunkenes Ruderboot hinwegschwimmen. Das Boot der Schurken? Vom Ende des Holzstegs sind es noch einige steile Steinstufen bis zur Höhle. Da liegt sie. Dunkel, modrig und so leer wie es sich für eine ordentliche Schatzhöhle aus einem Film gehört.

Von den Plitwitzer Seen geht es auf der Landstraße nach Süden. Am Horizont türmt sich das gewaltige Velebit-Gebirge auf. Irgendwann geben die Serpentinen den Blick frei ins Tal. Der Riss, der sich weit unten durchs Land zieht, muss der Canyon der Zrmanja sein, der Rio Peco im Film mit Winnetous Apachen-Dorf.

Wo Winnetou einst ruderte
Wo Winnetou einst ruderte
 

Unten im Tal kämpfen karge Büsche gegen sperrige Steine, die Straße führt durch diese kroatische Prärie. Zwischen Obrovac und Maslenica muss Winnetous Wohnzimmer liegen. Hier standen die Zelte und Hütten seines Pueblos. Eine Fabrik mit rostigen Türmen, dann ein Autofriedhof mit zerlegten Karosserien, dahinter führt ein Weg zu einem Hof am Canyon.

Eine Schäferin, die ebenfalls zu selten beim Zahnarzt war, zeigt mit einem Stock auf einen unscheinbaren Weg. „Winnetou, sagt sie immer wieder und zeigt zu einem kleinen Hügel. Noch 100 Meter über Steine und Büsche. Dann steht der Besucher auf dem Plateau, wo einst Old Shatterhand an den Marterpfahl gebunden war. Unten schlängelt sich die Zrmanja blau und friedlich durch die kantigen Schluchten. Keine brennenden Flöße wie zu Zeiten der Dreharbeiten, nicht mal ein Boot. Vollkommene Ruhe.

Im Rücken der Zrmanja wird die Suche nach Winnetous Film-Heimat zum echten Abenteuer. Das zerbeulte Schild weist den Weg nach Sveti Rok. Die Straße führt herauf zum Mali Alan. Der schmale Pass kommt vorbei an einem Haus ohne Dach, Fenster und Türen. Ein verlassenes Denkmal für einen schmutzigen Krieg. Laster mit Bauxit beladen - hupen sich den Weg frei. Eine katholische Kapelle am Wegesrand wartet in gespenstischer Stille auf Besucher. Mitten im Berg hört der Asphalt auf, und ein schmaler Schotterweg kämpft sich weiter durch den Mali Alan. Steine springen auf. Es knallt, als würde hier wieder geschossen. Endlose Schleifen führen durch Felsen. An der Seite fällt der Weg ab ins Nichts. Doch dann, in mehr als 1000 Metern Höhe, liegt hinter einer Mauer ein Gipfelmassiv aus weißen Felsen, davor eine mit schroffen Steinen durchsetzte Wiese: Der Gipfel Tulove Grede. Hier hatten die Apachen in „Winnetou I ihr Gold im Nuggettsil versteckt. Hier turtelte das Halbblut Apanatschi Uschi Glas im Jahr 1966 mit einem Adler für ein skurriles Star-Porträt, und hier starb Winnetou schließlich durch die Platzpatrone des Schurken Rollins.

30 Jahre nach der tödlichen Platzpatrone kam der echte Tod zum Mali Alan. Ein unsichtbarer und hinterhältiger Tod. Auf einem Schild mit einem Totenkopf steht: „Minen. Gefahr. Ab diesem Punkt gehen Sie auf eigene Verantwortung. Der weiße Felsen war während des Bürgerkrieges eine Frontlinie zwischen Serben und Kroaten. Die Front wechselte häufig. Beide Seiten legten Minen. Die Einheimischen meiden das verseuchte Idyll. Die grüne Wiese mit den weißen Felsen ist bis heute ein Ort des Todes.

Zwei Autostunden von diesem schaurig-schönen Ort entfernt sitzt der Entdecker dieser Motive zwischen alten braunen Holzmöbeln in seiner Zagreber Wohnung und erinnert sich an die Zeit, als Kroatien zum Wilden Westen wurde. Stjepan Gurdulic ist 75, er hat die Winnetou-Filme wohl an die hundert Mal gesehen. Viele aus der alten Crew sind gestorben. Gurdulic ist einer letzten.

Vom Fuß des Mali Alan sind es nur wenige Kilometer zum Tal der Toten. Die große Paklenica-Schlucht sieht wie ein Ausgang des Velebit-Gebirges zur Adria aus. Mit dem Tod verbindet sie nur der Name aus dem Film. Gute und Böse ritten zwischen den Felsplatten hindurch, die mehrere hundert Meter in den Himmel ragen. Ein Wildbach ergießt sich in die enge Schlucht des Nationalparks. Und in den Felswänden hängen jetzt Bergsteiger. Manchmal so verloren, als wollten sie dem Namen aus dem Film ein trauriges neues Kapitel hinzufügen. Pierre Brice und Lex Barker mochten die Schlucht besonders gern. Der Weg, den sie damals ritten, führt noch heute in die Wildnis des Velebit-Gebirges.

Nach einigen Kilometern Fußmarsch steigt der Pfad an dem schäumenden Wildbach entlang in die Felsen hinauf. Das Wasser der Quellen ist so sauber, dass man es trinken kann. Und die Pfade, die schier endlos in die Berge führen, halten Überraschungen bereit. Mitten auf dem Weg liegt zuweilen eine opulente Notdurft. Zu groß für einen Hund - es gibt Wildschweine im Nationalpark Paklenica. Und Braunbären. Zum Glück lässt sich der Verursacher des Haufens nicht blicken. Manchmal ist es besser, wenn man nicht alle Geheimnisse lüftet.

Auf dem Weg nach Süden, nicht weit von der Küste, liegt der Ort, der aus dem harten Hund Old Shatterhand einen handzahmen Gockel machte. An den Wasserfällen der Krka turtelte Winnetous Blutsbruder einst mit Nschotschi, Winnetous Schwester. Noch heute inspiriert das schäumende Wasser die Liebenden. Ein Pärchen sitzt auf einem Geländer im Wald und küsst sich, dahinter bricht das Wasser aus Bäumen und Büschen hervor, als würde es von Waldgeistern in die Tiefe gespuckt. Und ein Verkäufer von selbst gemachtem Ziegenkäse erzählt nur so lange gegen das Rauschen des Wassers an, wo Old Shatterhand einst mit Marie Versini saß, bis er merkt, dass der Besucher sich mehr für Winnetou interessiert als für Ziegenkäse.

Endstation Santa Fe. In dem kleinen Küstendorf Trogir ritten Winnetou und Old Shatterhand im dritten Teil der Winnetou-Trilogie durch die schmalen Gassen rund um die Kathedrale. Unter gespannten Wäscheleinen ducken sich heute kleine Bars und Cafes. Die Jugendlichen fahren auf Motorrollern vor der Langeweile und der Arbeitslosigkeit weg. Hier ist Kroatien neu und doch ganz Balkan. An der Gradska Nr. 10 steht noch immer die Treppe mit dem gusseisernen Geländer, wo Old Shatterhand den Ganoven zum Sprechen brachte. Bis vor kurzem hieß die Straße noch „Kohl-Genschera-Ulica. Aber Geschichte vergeht auch in Trogir. Und mit ihr verblassen die Geschichten. Auch die von Winnetou.

MERIAN Kroatien

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